Gestern waren wir an der Ahr. Eine befreundete Familie ist von der Flutkatastrophe betroffen. Von jetzt auf gleich wurden sie aus ihrem Alltag gerissen. Wir haben in der Corona-Zeit den Keller ausgebaut, sie müssen ihn jetzt ausräumen.
Als wir unterwegs waren, hatten sie wieder Netz: inzwischen waren sie mit allem versorgt worden, brauchten bloß noch Helfer. Wir erfuhren, dass im Nachbarort eine Frau ein Stromaggregat bekommen hatte und unbedingt unser Benzin benötigte! Also versuchten wir, uns zu ihr durchzuschlagen. Vorbei an in einander verkeilten Autos und zerrissenen Häusern, überall dieser klebrige, zähe Schlamm, die Luft erfüllt von Heizölschwaden und Sirenengeheul…
Diese fremden Leute brauchten uns dringender als unsere Freunde. Wir blieben. Schleppten die zerstörten Zeugnisse ihres Lebens aus den verwinkelten Räumen und türmten sie am Straßenrand, eingereiht in eine unendliche Schlange graubraunen Schutts.
Die Solidarität überall ist wunderbar, so viele Menschen wollen helfen! Nur bitte nicht einfach drauf los. Es ist wichtig, dass die Hilfe koordiniert wird. THW und Feuerwehr werden leider auch behindert von Helfern ohne konkrete Anlaufstelle, Sachspenden müssen untergebracht werden können. Sehr gute Arbeit leistet der Krisenstab der evangelischen Allianz Bonn / Rhein-Sieg, mit dem wir auch in Kontakt standen.
Jeder kann etwas tun! Und sei es “nur” wie die alte Dame, die uns aus einem der oberen Fenster ermutigend zugewinkt und uns angefeuert hat. Im Jammern über die Politik, den Klimawandel und das Weltenende stecken zu bleiben, ist verantwortungslos. Mich hat überrascht, wie wenig an der Ahr gejammert wurde, wie sehr die Menschen nach dem Guten im Unglück gesucht haben.
Wir konnten abends zurückkehren unter eine Dusche mit fließendem Wasser, an einen warmen Herd. Muss ich mich deshalb schlecht fühlen? Ich denke nein. Das wäre keine Solidaritätsbekundung und würde niemandem helfen. Viel wichtiger ist doch, das Leben genießen, meine Kinder umarmen, nicht als selbstverständlich ansehen, was so schnell vorbei sein kann. Ich habe kein Anrecht auf Glück. Es ist ein Geschenk!
Und wieder zu den Freunden an die Ahr… heute ist ein Stemmhammer im Gepäck und ein selbst gebackener Kuchen. Der ist nicht notwendig, nein, aber ich hoffe, er zeigt: ihr seid uns wichtig, wir investieren Zeit und Liebe in euch, wir denken an euch. Wir wünschen uns, dass es euch gut geht. Dass ihr einen Moment in all dem Chaos habt, an dem ihr euch ungemein wertgeschätzt fühlt.
Wie sieht Solidarität aus? Was kann, was muss ich tun?
Es ist großartig, wie viele Menschen unbürokratisch und schnell auf vielfältige und kreative Weise helfen, wie viele sich praktisch, aber auch durch Gebete und Spenden an die Seite der Menschen in den Katastrophenregionen stellen! Sehr viele christliche Organisationen und Kirchengemeinden aus allen Bundesländern sind angereist, um Mitgefühl und Nächstenliebe praktisch werden zu lassen.
“Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr gabt mir zu trinken. Ich war ein Fremder, und ihr habt mich in euer Haus eingeladen. Ich war nackt, und ihr habt mich gekleidet. Ich war krank, und ihr habt mich gepflegt. Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.” (Matth. 25, 35-36)
“Wenn ihr irgendwann mal Hilfe braucht… Wenn ich in der Zukunft davon höre, dass Menschen in diesem Land in Not geraten – ich werde alles stehen und liegen lassen und kommen!” sagte uns ein Betroffener aus Bad Neuenahr. In all dem Leid, macht es mich froh, was für eine Welle der Liebe und des Mit- und Füreinanders losgetreten wurde. Danke, Herr, dass du da bist! Dass du Hoffnung schenkst. Die Flut zieht sich zurück und legt das Ausmaß an Zerstörung frei. Bitte lass diesen Strom der Liebe nicht so schnell versiegen!
“Im normalen Leben wird es einem oft gar nicht bewusst, dass der Mensch überhaupt unendlich mehr empfängt, als er gibt, und dass Dankbarkeit das Leben erst reich macht.” (Dietrich Bonhoeffer)
Es sind Sommerferien und das einzig Dramatische ist das Wetter.
Woanders: Hochwasser, Feuer, Erdbeben und Terror. Nachrichten, die von grenzenloser Verzweiflung erzählen.
Ich dagegen höre Vogelgezwitscher. Hier wird gelacht, geredet. Ich fühle mich zerteilt zwischen Familienalltag und Weltgeschehen. Es ist so ungerecht! So unerklärbar! Es zerreißt mir das Herz.
Und ich kann nichts tun.
Doch: auf die Knie gehen.
Siehst du die Tränen? Hörst du die Schreie? Bist du da, Herr?
Kyrie eleison.
Erbarme dich.
Ein Tropfen auf den heißen Stein.
Aber Jesus kann aus wenig viel machen.
Immer wieder hören wir von den verfolgten Christen: “Nur weil viele Menschen gebetet haben, kann ich heute leben.” (Helen Berhane aus Eritrea, Opendoors)
Gebet ist Vertrauen. Vertrauen heißt erwarten, dass Gott hört. Und handelt.
Ich kann nur beten. Und die Arme weit ausbreiten…
“…Wir setzen unser Vertrauen auf ihn: Er wird uns immer wieder aus Todesgefahr befreien. Dazu tragen auch eure Gebete für uns bei…” (aus 2. Kor. 1, 10+11)
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